Evidenzbasierte Medizin (EbM)
Ärztliche Maßnahmen folgen den Prinzipien der evidenzbasierten Medizin. Diese tragen dazu bei, dass Patientinnen und Patienten nach dem aktuellen Stand der Forschung behandelt werden: Ärztinnen und Ärzte berücksichtigen neben ihrem Fachwissen und Erfahrungsschatz aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse.
Auf einen Blick
- Ziel der evidenzbasierten Medizin (ebM) ist, die Qualität von Diagnosen und Behandlungen zu erhöhen und so die gesundheitliche Versorgung sicherer und effizienter zu machen.
- Um ihre Patientinnen und Patienten medizinisch gut zu versorgen, verlassen sich Ärztinnen und Ärzte neben ihrer Erfahrung und ihrem Fachwissen auf wissenschaftlich fundierte Empfehlungen der evidenzbasierten Medizin.
- Dabei werden auch die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten berücksichtigt.
- Verlässliche und verständliche Gesundheitsinformationen helfen Betroffenen, sich zu ihren gesundheitlichen Fragen zu informieren, damit sie über ihre Behandlung mitentscheiden können.
Was ist evidenzbasierte Medizin?
Um erkrankte Menschen zu untersuchen und zu behandeln, stehen oft verschiedene Methoden, Medikamente und Therapien zur Verfügung. Ziel der evidenzbasierten Medizin ist, Untersuchungsmethoden und Behandlungen zu finden, die von hoher Qualität und wirksam sind.
„Evidenzbasiert“ bedeutet, dass sich die Wahl und Durchführung einer Untersuchungsmethode oder Behandlung sowie Empfehlungen auf Beweise stützen. Im Bereich der Gesundheit sind das belegbare Ergebnisse aus der medizinischen Forschung. Sie ergänzen das Fachwissen und die praktischen Erfahrungen von Medizinerinnen und Medizinern.
In der evidenzbasierten Medizin nutzen Ärztinnen und Ärzte häufig fachgerecht aufbereitete Erkenntnisse, beispielsweise medizinische Leitlinien. Das sind Empfehlungen zur Untersuchung und Behandlung von bestimmten Krankheitsbildern, die anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse systematisch entwickelt werden.
Auch andere Zusammenfassungen des aktuellen Forschungsstands (systematische Übersichten, Reviews oder weitere Evidenzsynthesen) erleichtern medizinischem Fachpersonal die Arbeit. Denn im Praxis- oder Klinikalltag bleibt weder Ärztinnen und Ärzten noch Therapeutinnen und Therapeuten ausreichend Zeit, alle einzelnen Forschungsergebnisse zu sichten.
Sie wenden stattdessen die gesammelten Erkenntnisse – beispielsweise aus Leitlinien oder Evidenzsynthesen – auf die individuelle Fragestellung ihrer Patientin oder ihres Patienten an.
Evidenzbasierte Medizin berücksichtigt zudem Werte und Wünsche von Patientinnen und Patienten: Indem Ärztinnen und Ärzte sie über die Vor- und Nachteile verschiedener Behandlungsmöglichkeiten aufklären, ist eine gemeinsame Entscheidung möglich.
Was ist evidenzbasierte Medizin?
Das folgende Video erklärt, wobei es sich bei der evidenzbasierter Medizin handelt und wie damit Behandlungsentscheidungen getroffen werden.
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Was sagen wissenschaftliche Studien aus?
Die medizinische Forschung verwendet verschiedene Formen wissenschaftlicher Studien. Sie reichen von Experimenten über Beobachtungen bis zu Vergleichen. Nicht jede ist im Sinne der evidenzbasierten Medizin gleichermaßen geeignet, um Rückschlüsse auf geeignete Untersuchungs- oder Behandlungsverfahren zu ziehen.
So sind Fallberichte nur begrenzt aussagekräftig. Der Grund: Sie zeigen eine Beobachtung bei einzelnen oder wenigen Personen. Ob ein beobachteter Effekt auch auf andere Menschen übertragbar ist, kann man daraus nicht folgern.
In Querschnittstudien werden Personengruppen zu einem bestimmten Zeitpunkt untersucht. Sie eignen sich ebenfalls nicht, um Ursachen und Wirkungen zu erforschen: So lässt eine Untersuchung mit der Beobachtung, dass im August besonders viel Eis gegessen wird und viele Sonnenbrände auftreten, nicht darauf schließen, dass die Sonnenbrände die Ursache dafür sind, dass Menschen viel Eis essen oder andersherum. Als eine Art Momentaufnahme können Querschnittsstudien aber zeigen, wie häufig eine Krankheit in einer Gruppe zu einem bestimmten Zeitpunkt vorkommt.
Gut geeignet, um Wirkung, Nutzen und Sicherheit von Untersuchungs- oder Behandlungsverfahren zu zeigen, sind randomisierte kontrollierte Studien (RCT): Hier werden Studienteilnehmer zufällig (randomisiert) in zwei oder mehrere Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe erhält über einen längeren Zeitraum die zu untersuchende Maßnahme (Intervention), beispielsweise Kopfschmerztabletten mit einem neuen Wirkstoff. Eine andere Gruppe dient als Kontrolle und erhält eine Scheinbehandlung (Placebo). Will man herausfinden, ob der neue Wirkstoff besser ist als bisher verwendete, so erhält eine weitere Gruppe die bisher übliche Therapie. Ein Vergleich der Ergebnisse der Gruppen liefert Auskunft darüber, wie groß der Nutzen der neuen Behandlung ist und welche Nebenwirkungen wie häufig auftreten.
Da es zahlreiche solche Forschungsarbeiten gibt und ihre Zahl rasant wächst, fasst man die Ergebnisse mehrerer klinischer Studien zu bestimmten Fragestellungen zusammen, zum Beispiel: „Welche Wirkstoffe helfen bei Migräne am besten?“
In systematischen Übersichten bündeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ergebnisse einzelner Studien zu dieser Frage. In Metaanalysen berechnen sie darüber hinaus aus den Erkenntnissen der betrachteten Arbeiten ein Gesamtergebnis und leiten eine fundierte Aussage ab.
Wie gelangen Fachleute zu einer evidenzbasierten Empfehlung?
In der evidenzbasierten Medizin führen folgende Schritte zu einer Entscheidung für oder gegen eine medizinische Maßnahme:
- Zunächst wird die medizinische Frage formuliert, zum Beispiel: „Lindert der Wirkstoff X Kopfschmerzen stärker als Wirkstoff Y?“
- Dann erfolgt eine umfassende Recherche nach geeigneten klinischen Studien zu der Fragestellung.
- Die Quellen werden kritisch bewertet: Sind sie repräsentativ? Wie glaubhaft sind die Ergebnisse? Gibt es methodische Mängel? Lassen sich die Ergebnisse auf andere Patientengruppen übertragen?
- Anschließend erfolgt die Anwendung der gewonnenen Einsichten unter Berücksichtigung der individuellen Situation der Patientin oder des Patienten.
- Schließlich wird der Erfolg des Vorgehens bewertet und wenn nötig angepasst: Evidenzbasierte Bewertungen der klinischen Praxis und neuer Therapieansätze sind eine wichtige Grundlage für die Patientensicherheit.
Wie wird evidenzbasierte Medizin im klinischen Alltag eingesetzt?
In der Praxis bedeutet evidenzbasierte Medizin für Ärztinnen und Ärzte, dass sie ihre eigenen Erfahrungen durch Erkenntnisse aus der aktuellen Forschung ergänzen. Dafür nutzen sie meist Hilfsmittel wie medizinische Leitlinien oder Zusammenfassungen des aktuellen Forschungsstands.
Diese beziehen sie auf die Situation ihrer Patientin oder ihres Patienten. Im gemeinsamen Gespräch klären sie auf, welche Möglichkeiten es gibt und welche Vor- und Nachteile eine bestimmte Behandlung oder Untersuchung bietet.
Was sind medizinische Leitlinien?
Leitlinien helfen Ärztinnen und Ärzten, die richtigen Entscheidungen für bestimmte medizinische Fragestellungen zu treffen. Eine Leitlinie zu einem bestimmten Thema wird von einem eigens dafür zusammengestellten Expertengremium entwickelt, dem wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaften und gegebenenfalls weitere Fachleute sowie Patientenorganisationen angehören. Das Gremium spricht anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse nach einem festgelegten Verfahren Empfehlungen aus. Diese werden regelmäßig aktualisiert.
In Deutschland koordiniert die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) die Entwicklung von Leitlinien. Diese werden in folgende Kategorien eingeteilt:
- S1 – Eine Expertengruppe gibt eine Handlungsempfehlung, ohne dabei ein bestimmtes Vorgehen einzuhalten.
- S2k – Ein zu diesem Zweck ausgewähltes Gremium gelangt nach einem vorgegebenen Verfahren zu einer gemeinsamen Empfehlung („k“ steht für Konsensus, also Übereinstimmung).
- S2e – Evidenzbasierte Leitlinie, die aus einer systematischen Recherche, Auswahl und Bewertung der Fachliteratur entsteht („e“ steht für Evidenz).
- S3 – Dies ist das höchste Leitlinien-Niveau und vereint die Qualitäten der S2k- und S2e-Leitlinien.
Genau genommen sind nur die Kategorien S2e und S3 evidenzbasiert und beruhen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die systematisch von Expertinnen und Experten begutachtet wurden.
Wichtig zu wissen: Damit auch Patientinnen und Patienten die Empfehlungen aus Leitlinien nachvollziehen können, gibt es häufig eigens für sie aufbereitete Patientenleitlinien.
Wie profitieren Patientinnen und Patienten von evidenzbasierter Medizin?
Patientinnen und Patienten werden in die evidenzbasierte Medizin einbezogen: Sie können mitentscheiden, welche Behandlung sie vorziehen und welche sie ablehnen. Denn nicht jeder hat dieselben Wünsche und Ziele.
Solch eine Entscheidung lässt sich leichter treffen, wenn man gut informiert ist. Dazu gehören zuverlässige Antworten auf Fragen, wie „Welche Behandlungsoptionen kommen in Frage?“, „Welche Therapie eignet sich für mich am besten?“, „Welche Risiken gibt es?“ oder „Habe ich eine Alternative?“
Für eine informierte Entscheidung ist es wichtig, dass Ärztinnen oder Ärzte über mögliche Behandlungen und Folgen aufklären. Wichtige Informationsquellen sind auch Beratungsstellen, wie die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD), Selbsthilfeeinrichtungen, Krankenkassen und verlässliche Gesundheitsinformationen im Internet. All diese Informationen tragen zu einer guten Gesundheitskompetenz bei, die dabei hilft, besser mit einer Erkrankung umzugehen.
Wo finde ich weitere Informationen?
Gut verständliche Patientenleitlinien sind unter patienten-information.de verfügbar.
Das Deutsche Netzwerk Gesundheitskompetenz (DNGK) listet verlässliche Gesundheitsportale im Internet auf.
Umfangreiche Erläuterungen zu evidenzbasierter Medizin und der Vorgehensweise bietet die Website des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin e.V.
Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) bietet eine Übersicht für medizinische Leitlinien und Patientenleitlinien.
Leitlinien und Patientenleitlinien zu Krebserkrankungen finden sich darüber hinaus auf den Seiten des Leitlinienprogramms Onkologie, das gemeinsam von der AWMF, der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Krebshilfe getragen wird.
Eine Einführung in die Themen evidenzbasierte Medizin, klinische Studien und Evidenzsynthesen bietet ein kostenloser Onlinekurs von Cochrane. Er richtet sich an alle, die mit dem Gesundheitssystem in Berührung kommen: An Patientinnen und Patienten ebenso wie an Menschen, die in Gesundheitsberufen arbeiten.
Weitere evidenzbasierte Informationen zu häufigen Krankheiten, Diagnosen und Gesundheitsfragen sowie Informationen zur evidenzbasierten Medizin stellt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) auf der Website https://www.gesundheitsinformation.de/ bereit.
- Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Leitlinien. Aufgerufen am 15.02.2022.
- Bundesministerium für Gesundheit. Evidenzbasierte Medizin. Aufgerufen am 01.03.2022
- Cochrane. Leitlinien. Aufgerufen am 15.02.2022.
- Deutsches Ärzteblatt. Evidenzbasierte Bewertung von Therapieansätzen für Patientensicherheit wichtig. Aufgerufen am 18.05.2022
- Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. (EbM-Netzwerk). Methodik. Aufgerufen am 15.02.2022.
- Gesundheitsinformation.de. Vorbeugen, untersuchen, behandeln: Was prüft die evidenzbasierte Medizin? Aufgerufen am 01.03.2022.
- Gesundheitsinformation.de. Was sind systematische Übersichten und Meta-Analysen? Aufgerufen am 01.03.2022.
- Gesundheitsinformation.de. Welche Studienarten gibt es? Aufgerufen am 15.02.2022.
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). randomisierte kontrollierte Studie. Aufgerufen am 01.03.2022.
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Evidenzbasierte Medizin: Warum arbeitet des IQWiG danach? Aufgerufen am 15.02.2022.
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