Arzneimittel: Wie das Geschlecht die Wirkung beeinflussen kann

Der Körperbau und der Stoffwechsel von Männern und Frauen unterscheiden sich. Das kann auch Einfluss auf die Wirkweise von Medikamenten haben. Meistens sind die Auswirkungen gering und spielen keine Rolle. In einigen wenigen Fällen jedoch unterscheidet sich die Wirkung erheblich zwischen den Geschlechtern. Dann bekommen Frauen und Männer das Medikament in unterschiedlicher Dosierung.

Auf einen Blick

  • Das Geschlecht kann einen Einfluss darauf haben, wie schnell der Körper ein Medikament aufnimmt, verteilt und abbaut – und damit auch, wie lange und wie stark es wirkt.
  • Bei den meisten Arzneimitteln sind die zugelassenen Dosierungen so gewählt, dass sie für beide Geschlechter wirksam und sicher sind.
  • Bei einigen wenigen Medikamenten muss die Dosis jedoch an das Geschlecht angepasst werden.
  • In der Forschung wurde der Einfluss des Geschlechts auf die Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten lange Zeit nicht wahrgenommen und berücksichtigt, da vor allem Männer an den Studien teilgenommen haben.
  • Heute garantieren gesetzliche Regelungen, dass beide Geschlechter angemessen berücksichtigt werden.
Zwischen zwei Würfel mit Symbolen für weiblich und männlich wird ein Würfel mit einem Gleich-Zeichen und einem Ungleich-Zeichen gelegt.

Warum kann es zu Problemen kommen, wenn Arzneimittel bei Männern und Frauen anders wirken?

Das Geschlecht und auch das Alter können beeinflussen, wie schnell der Körper ein Medikament abbaut und damit auch, wie lange und wie stark es wirkt. Das ist bei den meisten Arzneimitteln  jedoch kein Problem: Die zugelassenen Dosierungen sind so gewählt, dass bei der Mehrheit aller Patientengruppen eine ausreichende Wirkung erzielt wird. Bei einigen wenigen Medikamenten jedoch gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern – bei den Wirkungen und bei den Nebenwirkungen. 

Früher wurden diese Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei der Entwicklung von Arzneimitteln nicht berücksichtigt: Medikamente wurden hauptsächlich an jungen Männern getestet. Damit sollten Frauen im gebärfähigen Alter und ungeborene Kinder geschützt werden. Dass ein Arzneimittel bei Frauen anders wirkt als bei Männern, wurde häufig erst festgestellt, wenn sich Frauen vermehrt über Nebenwirkungen beklagt hatten.

Um sicher zu gehen, dass ein Medikament für Männer und Frauen gleichermaßen sicher und wirksam ist, gibt es heute genaue gesetzliche Regelungen für die Geschlechterzusammensetzung bei klinischen Studien. Laut Pharmaverbänden liegt der Frauenanteil bei Studien in den Phasen II und III in Deutschland bei 30 bis 80 Prozent. Datenauswertungen großer internationaler Studien zeigen jedoch, dass Frauen bei vielen wichtigen Studien zu Herz-Kreislauf-Medikamenten auch in jüngster Zeit noch unterrepräsentiert sind. Dazu kommt, dass viele Medikamente, die schon vor langer Zeit zugelassen wurden, nicht auf geschlechtsspezifische Wirkungen untersucht wurden. Welche Auswirkungen das hat, ist wissenschaftlich noch nicht hinreichend untersucht. Möglicherweise erhalten Frauen dann eine zu hohe oder eine zu niedrige Dosis. Es kann auch vorkommen, dass geschlechtsspezifische Nebenwirkungen in Studien nicht erkannt werden, wenn nicht genügend Angehörige beider Geschlechter daran teilgenommen haben.

Warum wirken manche Medikamente bei Frauen anders?

Die Körper von Männern und Frauen unterscheiden sich zunächst bei der Größe und dem Gewicht sowie dem Anteil an Fett-, Muskel- und Knochenmasse. Das beeinflusst die Verteilung von Arzneimitteln im Körper: Frauen sind im Schnitt kleiner und leichter. Nehmen Frauen und Männer die gleiche Menge eines Medikaments ein, bekommen Frauen häufig im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht eine höhere Dosis. In manchen Fällen kann eine hohe Dosis stärkere Nebenwirkungen nach sich ziehen. Der höhere Fett- und niedrigere Muskelanteil von Frauen führt dazu, dass fettlösliche Medikamente im Fettgewebe gespeichert und deshalb bei Frauen länger im Körper verbleiben als bei Männern.

Das Geschlecht beeinflusst, wie schnell ein Medikament im Körper verteilt und abgebaut wird und damit auch, wie lange und wie stark es wirkt.

Außerdem beeinflussen weitere geschlechtsspezifische Merkmale, wie Arzneimittel im Körper verteilt, umgewandelt und ausgeschieden werden. Das sind zum Beispiel: 

  • Unterschiedliche Hormon- und Enzymaktivitäten: So kann beispielsweise der höhere pH-Wert im Magen bei Frauen in Zusammenspiel mit den Geschlechtshormonen die Löslichkeit von Arzneimitteln im Magen beeinflussen.
  • Unterschiede bei der Verstoffwechselung in Magen, Darm und Leber: Es dauert bei Frauen länger, bis eine Tablette durch den Magen in den Darm gelangt und bis die Wirkstoffe in der Leber abgebaut werden. Betablocker zur Senkung des Blutdrucks beispielsweise werden Frauen deshalb oft in einer niedrigeren Dosierung verordnet. 
  • Unterschiede bei der Ausscheidung über die Nieren: Bei Männern werden Medikamente schneller über die Nieren ausgeschieden als bei Frauen.

Bei welchen Arzneimitteln gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede?

Auch wenn in Studien bei Männern und Frauen eine unterschiedliche Konzentration und Verweildauer des Medikaments festgestellt wird, muss das nicht zwingend eine Konsequenz für die Wirkung haben. Denn auch innerhalb der Geschlechter gibt es von Mensch zu Mensch große Unterschiede, die dazu führen, dass der Körper Medikamente individuell anders verarbeitet. Bei der Entwicklung von Medikamenten wird deshalb darauf geachtet, eine für möglichst viele Patientengruppen passende Dosis zu finden. Deshalb gibt es bei den allermeisten Arzneimitteln für Männer und Frauen keine unterschiedlichen Anwendungsbereiche oder Dosierungsempfehlungen.

Bei einigen wenigen Arzneimitteln haben sich jedoch geschlechtsbezogene Unterschiede bei der Wirkung gezeigt, sodass Frauen und Männer eine unterschiedliche Dosis erhalten müssen. Dazu gehören unter anderem:

Schmerzmittel

  • Bestimmte Opiate wie Morphin haben bei Frauen eine stärkere Wirkung und ein höheres Risiko für Nebenwirkungen.
  • Ibuprofen wirkt bei Männern wahrscheinlich stärker.

Betablocker

  • Der Blutdrucksenker Metoprolol hat eine stärkere Wirkung und ein höheres Risiko für Nebenwirkungen bei Frauen.

Medikamente gegen Depressionen

  • Die Antidepressiva Fluvoxamin und Sertralin wirken bei Frauen stärker.

Blutgerinnungshemmer 

  • Bei der Einnahme von Clopidogrel oder Heparin besteht bei Frauen ein höheres Blutungsrisiko.
  • Wird Acetylsalicylsäure (ASS) zur Gerinnungshemmung eingenommen, wirkt ASS schwächer zur Vorbeugung der koronaren Herzkrankheit (KHK)  bei Frauen vor der Menopause, die keine hormonellen Verhütungsmittel anwenden.

Weitere Arzneimittel

  • Romosozumab gegen Osteoporose führt bei Männern häufiger zu schweren Nebenwirkungen und ist deshalb nur für Frauen (nach der Menopause) zugelassen.
  • Zolpidem gegen Schlafstörungen wird von Frauen deutlich langsamer abgebaut als von Männern, die Wirkung hält deshalb länger an.

Sind geschlechtsspezifische Besonderheiten bei Arzneimitteln bekannt, stimmen Ärztinnen und Ärzte die Dosis darauf ab. Manchmal findet sich auch in der Packungsbeilage ein Hinweis darauf, was Männer und Frauen bei der Einnahme beachten sollen. Patientinnen und Patienten, denen Nebenwirkungen sehr zu schaffen machen, sollten sich immer an ihre Ärztin oder ihren Arzt wenden. Die Dosis kann dann auf ärztliche Empfehlung angepasst werden.

Sind geschlechtsspezifische Besonderheiten bei Arzneimitteln bekannt, stimmen Ärztinnen und Ärzte die Dosis darauf ab.

Wie wird das Geschlecht bei der Arzneimittelentwicklung berücksichtigt?

Um mögliche negative Folgen für die Fruchtbarkeit der Frau und die Entwicklung ungeborener Kinder zu vermeiden, wurden Frauen im gebärfähigen Alter früher von klinischen Studien ausgeschlossen. Auch heute noch ist das in der frühen Phase der Arzneimittelentwicklung der Fall: Wenn es darum geht, dass gesunde Versuchspersonen das Verhalten eines neuen Wirkstoffs im Körper testen, werden meist ausschließlich Männer rekrutiert. Als Grund dafür wird oft genannt, dass Männern nicht im gleichen Maße Hormonschwankungen unterliegen oder hormonelle Verhütungsmittel einnehmen, die die Wirkung des Medikaments beeinflussen könnten. Der Anteil der Frauen in Phase-I-Studien liegt daher bei 10 bis 40 Prozent. In späteren Phasen ist er höher.

Gut zu wissen: Seit 2004 müssen mögliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern bei klinischen Studien in Deutschland verpflichtend untersucht werden. Auch wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) den Nutzen neuer Medikamente bewertet, müssen die Hersteller eine geschlechtsbezogene Auswertung ihrer Zulassungsstudien einreichen.

2022 ist eine EU-Verordnung in Kraft getreten. Diese regelt, dass alle Teilnehmenden einer klinischen Studie repräsentativ für diejenigen Bevölkerungsgruppen sein müssen, die das untersuchte Arzneimittel anwenden werden. Erkranken zum Beispiel 70 Prozent Männer an der Krankheit, für deren Therapie der Wirkstoff vorgesehen ist, sollen auch 70 Prozent der Studienteilnehmer männlich sein. Es geht also nicht um eine 50:50-Verteilung wie bei anderen Geschlechterquoten. Vielmehr soll sich das Verhältnis an der tatsächlichen Geschlechterverteilung der Krankheiten orientieren.

Geprüft durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)

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