Medikamentenmissbrauch und Medikamentenabhängigkeit
ICD-Codes: F11 F13 F19 F55 Was ist der ICD-Code?
Vor allem ältere Menschen sowie Menschen mit psychischen Erkrankungen sind anfällig dafür, Medikamente in schädlichem Maße einzunehmen und abhängig zu werden. Lesen Sie hier, welche Substanzen besonders abhängig machen, wie eine Abhängigkeit behandelt wird und wie man ihr vorbeugen kann.
Auf einen Blick
- Medikamentenabhängigkeit tritt in allen Altersstufen und sozialen Schichten auf.
- Häufig betroffen sind ältere Frauen und Menschen mit psychischen Erkrankungen sowie anderen Suchterkrankungen.
- Schnell abhängig machen können verschreibungspflichtige Schlaf- und Beruhigungsmittel sowie bestimmte Schmerzmittel.
- Der Prozess von einem normalen über einen schädlichen Gebrauch hin zur Abhängigkeit ist schleichend.
- Die Behandlung einer Abhängigkeit umfasst einen Entzug mit begleitender Psychotherapie.
- Selbsthilfegruppen und Suchtberatungen helfen, einen schädlichen Konsum oder eine Abhängigkeit zu erkennen. Zudem unterstützen sie dabei, dass eine Abstinenz nach dem Entzug langfristig anhält.
Hinweis: Die Informationen dieses Artikels können und sollen einen Arztbesuch nicht ersetzen und dürfen nicht zur Selbstdiagnostik oder -behandlung verwendet werden.
Was ist Medikamentenmissbrauch?
Ärztinnen und Ärzte verordnen Medikamente, um gezielt bestimmte Symptome zu lindern und Erkrankungen zu behandeln. Das heißt, das jeweils verschriebene Medikament ist nur für die Therapie der jeweiligen Erkrankung gedacht.
Von Missbrauch spricht man, wenn man ein Medikament
- für eine Erkrankung oder Symptome einnimmt, für die es nicht bestimmt ist
- in einer höheren Dosis als verordnet anwendet
- in einer anderen Anwendungsform nutzt als vorgegeben
- über einen längeren Zeitraum einnimmt als verschrieben
Von einem schädlichen Gebrauch ist die Rede, wenn bereits körperliche oder psychische Folgeschäden aufgetreten sind.
Kennzeichnend für einen Missbrauch ist, dass sich die Einnahme von Medikamenten schädlich auf die Psyche oder den Körper des Konsumenten oder anderer Personen auswirken kann. Hält ein Missbrauch lange an und führt er zur Gewöhnung, kann es zu einer Medikamentenabhängigkeit kommen.
Wie verbreitet ist Medikamentenmissbrauch?
Es wird geschätzt, dass in Deutschland 2,7 Millionen Menschen zwischen 18 und 60 Jahren Medikamente in schädlichen Mengen einnehmen oder von ihnen abhängig sind. Da das Risiko für eine Medikamentenabhängigkeit mit höherem Alter zunimmt, liegt die Zahl insgesamt deutlich darüber.
Medikamentenabhängigkeit findet sich in allen Altersstufen und sozialen Schichten. Ältere Menschen sind vor allem abhängig von Beruhigungsmitteln (Sedativa), Frauen häufiger als Männer. Etwa zwei Drittel aller medikamentenabhängigen Frauen sind über 65 Jahre alt.
Zu einer Abhängigkeit von opioidhaltigen Schmerzmitteln neigen hingegen eher jüngere Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. Männer sind dafür anfälliger als Frauen.
Auch können psychische Störungen und die gleichzeitige Einnahme von Sedativa und Opioiden in hoher Dosierung die Entwicklung einer Abhängigkeit begünstigen.
Bei welchen Medikamenten kommt es häufig zu Missbrauch?
Zu den Medikamenten, die am häufigsten missbräuchlich eingenommen werden, zählen rezeptfreie Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Diclofenac.
Weit oben in der Statistik stehen auch Abführmittel, abschwellende Nasensprays, entwässernde Medikamente (Diuretika) und alkoholhaltige Arzneimittel.
Bei den rezeptpflichtigen Medikamenten führt insbesondere die Einnahme von Schlaf- und Beruhigungsmitteln (Sedativa) aus der Gruppe der Benzodiazepine und von opioidhaltigen Schmerzmitteln wie Tramadol und Fentanyl häufig zu Missbrauch, schädlichem Konsum und Abhängigkeit. Auch die sogenannten Z-Substanzen zählen dazu: Das sind benzodiazepinähnliche Schlaf- und Beruhigungsmittel.
Ausführliche Informationen zu Z-Substanzen und Benzodiazepinen finden Sie auf der Seite psychenet.de.
Wie entsteht Medikamentenmissbrauch?
Bereits die Art und Weise, wie Eltern mit Medikamenten umgehen, können die Weichen für einen Missbrauch stellen. So neigen beispielsweise Kinder, deren Eltern bei Alltagssymptomen wie Kopfschmerzen relativ schnell zu Schmerzmitteln greifen, eher zu Medikamentenmissbrauch. Eine Untersuchung zeigte, dass etwa 20 Prozent der 14- bis 16-jährigen Mädchen nahezu täglich Schmerzmittel einnehmen. Diese Mädchen wuchsen in einem solchen „Schmerzmittelhaushalt“ auf.
Zudem fühlen sich viele Menschen in ihrem Privat- und Berufsleben überfordert. Sie stehen unter Leistungs- und Konkurrenzdruck, den sie durch die Einnahme von Schlaf- und Beruhigungsmitteln auszuhalten versuchen. Sie nehmen die Medikamente also als Mittel der Stressbewältigung ein und das oft über den üblichen Zeitraum hinaus.
Den Konsum von Medikamenten mit Abhängigkeitspotenzial erhöhen zudem Lebensereignisse wie der Eintritt in den Ruhestand, die Wechseljahre oder auch traumatische Erlebnisse wie der Tod einer geliebten Person. Die Langzeitbehandlung chronischer Erkrankungen oder die gleichzeitige Behandlung mehrerer Erkrankungen können ebenfalls zu Missbrauch und Abhängigkeit führen.
Medikamentenabhängigkeit: Wer ist besonders gefährdet?
Ein hohes Risiko für Medikamentenabhängigkeit haben Menschen, die mit lang existierenden, schwer zuzuordnenden Symptomen in die ärztliche Praxis kommen.
Oft sind das psychische Symptome wie Überforderungs- oder Überlastungsgefühle, Schlafstörungen, Ängste oder Niedergeschlagenheit. Auch treten häufig sogenannte psychosomatische Symptome auf, die sich nur teilweise durch körperliche Ursachen erklären lassen. Typisch dafür sind körperlicher Schwindel, Herzrasen oder Magen-Darm-Probleme. Solche Beschwerden werden dann oft mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln vom Benzodiazepin-Typ über lange Zeit behandelt.
Ein erhöhtes Risiko für einen Missbrauch oder schädlichen Konsum haben Menschen mit chronischen Kopfschmerzen oder Migräne, die regelmäßig rezeptfreie Schmerzmittel einnehmen. Bei einer regelmäßigen Einnahme opioidhaltiger Schmerzmittel kann sich auch eine Abhängigkeit entwickeln. Gleiches gilt etwa für Menschen, die aufgrund von psychosomatischen Schmerzen regelmäßig zu Schmerzmitteln greifen.
Medikamentenabhängigkeit: Woran erkennt man sie?
Eine Abhängigkeit entsteht schleichend. Die Übergänge von einem normalen Gebrauch über einen Missbrauch bis hin zu einer Abhängigkeit sind fließend.
Medizinerinnen und Mediziner definieren Medikamentenabhängigkeit anhand von sechs Kriterien. Davon müssen mindestens drei innerhalb des zurückliegenden Jahres erfüllt gewesen sein.
Diese Kriterien sind:
- starker Wunsch und/oder Zwang, das Medikament zu konsumieren
- Verlust der Kontrolle über Beginn, Menge und/oder Ende der Einnahme
- körperliche Entzugssymptome bei beendetem oder verringertem Konsum
- Bedarf von zunehmend höheren Dosen, um die gewünschte Wirkung des Medikaments zu erzielen
- verstärkte Vernachlässigung anderer Vergnügungen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums; erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen oder sich von den Folgen des Konsums zu erholen
- anhaltender Substanzkonsum trotz eindeutiger körperlicher oder psychischer Schäden, die dem Konsumenten oder der Konsumentin bewusst sind
Medikamentenabhängigkeit: Wie wird sie behandelt?
Die Behandlung einer Medikamentenabhängigkeit besteht aus einer Entzugs- und einer begleitenden Psychotherapie.
Ein Baustein der Therapie ist es, das Medikament – sofern erforderlich – nicht schlagartig abzusetzen, sondern auszuschleichen.
Menschen mit einer Medikamentenabhängigkeit können stationär in spezielle Entzugseinrichtungen aufgenommen werden. Dort erhalten sie begleitende Medikamente gegen eventuell beim Entzug auftretende Komplikationen.
Um beispielsweise eine Abhängigkeit von Benzodiazepinen oder opioidhaltigen Schmerzmitteln zu behandeln, kommen folgende Möglichkeiten infrage:
Entzug von Benzodiazepinen
Die durchschnittliche Entzugsdauer in der Klinik beträgt 3 bis 6 Wochen. Ein ambulanter Entzug dauert hingegen oft einige Monate bis zu einem Jahr. Ziel der Therapie ist es, die Dosis schrittweise zu reduzieren.
Entzug von opioidhaltigen Schmerzmitteln
Je nach Schwere der Abhängigkeit erfolgt der Entzug ambulant oder stationär. Voraussetzung für einen Erfolg des Entzugs ist eine angemessene Schmerztherapie und – wenn erforderlich – auch eine Physio- und Entspannungstherapie.
Entwöhnungsbehandlung nach stationärem Entzug
Entwöhnungsbehandlungen werden ambulant, tagesklinisch oder stationär in dafür spezialisierten Einrichtungen durchgeführt, beispielsweise auch in Form einer medizinische Rehabilitation. Die Reha-Maßnahmen werden vom Rentenversicherungsträger finanziert.
Nachsorge
Diese bieten die dafür zugelassenen ambulanten Beratungs- und Behandlungsstellen an. Die Nachsorge besteht zum Beispiel aus wöchentlichen Gruppentherapie-Sitzungen, in denen das Gelernte aufgefrischt und die Motivation zur Abstinenz unter Alltagsbedingungen erhalten werden soll. Es hat sich zudem bewährt, Sucht-Selbsthilfegruppen einzubinden.
Medikamentenabhängigkeit: Wie kann man vorbeugen?
Um zu verhindern, dass es zu einer Abhängigkeit von Medikamenten kommt, helfen zwei wesentliche Regeln:
- korrekte Dosierung: Das Medikament sollte immer in der kleinsten Packungsgröße verwendet und in der für die Erkrankung angegebenen Dosis eingenommen werden.
- kurze Anwendung: Ideal ist es, wenn die Einnahme des Medikaments so kurz wie nötig erfolgt. Eine langfristige medikamentöse Behandlung sollte stets sorgfältig überlegt sein.
Wichtig zu wissen: Vor der Einnahme von Medikamenten sollte man sich von der Ärztin oder dem Arzt oder in der Apotheke beraten lassen. Je mehr man über den richtigen Umgang sowie über Nebenwirkungen der Medikamente weiß, umso besser kann man einem Missbrauch vorbeugen.
Auch der telefonische Informationsdienst der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) unterstützt bei allen Belangen zur Suchtvorbeugung.
Wie finde ich eine passende Beratung?
Beratungsstellen wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bieten ein Online-Portal, auf dem Sie Beratungsstellen in der Nähe Ihres Wohnorts finden können.
- Atzendorf J, Rauschert C, Seitz N-N et al. Gebrauch von Alkohol, Tabak, illegalen Drogen und Medikamenten. Deutsches Ärzteblatt 2019. 116: 577-84.
- Bundesärztekammer. Medikamente – schädlicher Gebrauch und Abhängigkeit. Leitfaden für die ärztliche Praxis. Deutscher Ärzte-Verlag: Köln 2007.
- Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde & Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e.V. Medikamentenbezogene Störungen. S3-Leitlinie. Langfassung. AWMF-Registernummer 038-025. 01.2021.
- Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) e.V. Medikamentenabhängigkeit. Suchtmedizinische Reihe, Band 5, 4. Auflage. DHS: Hamm 2020.
- Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Medikamentenmissbrauch. Aufgerufen am 22.01.2021.
- Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Drogen- und Suchtbericht 2019. Online-Broschüre zum Download. Bestell-Nr. BMG-D-11033. Bundesministerium für Gesundheit: Berlin 2019.
Geprüft durch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V.
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