Online-Sucht

Bei Online-Sucht denken die meisten Menschen an Computerspiele. Aber auch andere Angebote im Internet können abhängig machen, zum Beispiel Online-Shopping oder Social Media. Wann ist ein Internetgebrauch problematisch und wie lässt sich das herausfinden? 

Auf einen Blick

  • Online-Sucht ist eine psychische Störung.
  • Anfällig dafür sind vor allem Jugendliche.
  • Häufig sind gleichzeitig psychische Störungen wie eine Angststörung oder eine Depression vorhanden.
  • Es gibt Kriterien, die bei der Diagnose helfen.
  • Die Behandlung richtet sich nach der Schwere der Erkrankung.

Hinweis: Die Informationen dieses Artikels können und sollen einen Arztbesuch nicht ersetzen und dürfen nicht zur Selbstdiagnostik oder -behandlung verwendet werden.

Eine junge Frau sitzt im Halbdunkeln auf dem Sofa. Sie hält ein Mobiltelefon nahe am Gesicht, und schaut konzentriert auf den Bildschirm. Ihr Gesicht wird vom bläulichen Licht des Displays angestrahlt.

Was versteht man unter Online-Sucht?

Ob E-Mail, YouTube, TikTok, Wikipedia oder Wetter-Apps – das Internet gehört zum Alltag wie Essen und Schlafen. Es wird genutzt, um die Lieblingsmusik zu hören, Reisen zu buchen oder einzukaufen. Die Menschen schauen Serien, hoffen bei Tinder auf die große Liebe, tauschen sich mit anderen Nutzern aus oder kämpfen mit ihnen gegen virtuelle Monster. Mit seinen unendlich vielen Möglichkeiten durchdringt das Internet das ganze Leben. Die Gefahr dabei ist, dass es auch krank machen kann. Wann aber ist die Nutzung des Internets krankhaft oder, wie Ärzte sagen, pathologisch? 

Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten, denn für die medizinische Forschung ist das Thema noch ein relativ neues Feld. Das sieht man schon an den verschiedenen Begriffen, die benutzt werden: Handysucht, pathologischer Internetgebrauch, Online-Sucht oder internetbasiertes Suchtverhalten. In der medizinischen Fachsprache setzt sich mehr und mehr die Bezeichnung „Internetnutzungsstörung“ (INS) durch. Aber was versteht man darunter genau?

Eine INS ist eine psychische Störung. Sie bezeichnet eine schädliche oder missbräuchliche Nutzung des Internets. Ursprünglich waren damit negative Folgen oder Risiken durch Internet-Spielsucht gemeint. Diese sind bisher am besten erforscht und wurden im internationalen diagnostischen System der International Classification of Diseases (ICD) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als eigenes Krankheitsbild aufgenommen.

Ein großer Teil der Forscher geht davon aus, dass die Mechanismen bei der INS ähnlich sind. Deshalb werden Erkenntnisse zur Internet-Spielsucht auch auf weitere Internet-Anwendungen übertragen. Gemeinsames Merkmal ist ein Kontrollverlust. Im Vordergrund stehen Computerspiele (on- und offline), soziale Netzwerke, Online-Shopping und auch der Konsum von Pornographie.

Wann wird die Nutzung des Internets problematisch?

Jeder kennt Cartoons oder Fotos von Menschen, die alle gleichzeitig auf ihre Smartphones starren. Man bekommt einen Spiegel vorgehalten, findet es lustig, fühlt sich aber auch bestätigt: Wenn alle das machen, kann es so schlimm nicht sein. Oder? Tatsächlich sind die Übergänge von einer häufigen Internetnutzung zu einer Abhängigkeit fließend.

Erste Hinweise für eine problematische Entwicklung sind negative Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche: Die Personen vernachlässigen zugunsten der Internetaktivitäten Schule und Beruf, ihre Hobbys, eine gesunde Ernährung oder ihr soziales Leben in der realen Welt. Sie haben ein starkes Verlangen nach Online-Aktivitäten, über das sie zunehmend die Kontrolle verlieren. Ein Verzicht auf das Internet ist für sie unvorstellbar. Ein weiteres typisches Merkmal: Online-Aktivitäten werden fortgesetzt, obwohl bereits negative Konsequenzen zu spüren sind.

Ob es sich bei einer Internetnutzungsstörung (INS) tatsächlich um eine Sucht handelt, ist unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zum Teil noch umstritten. Kritiker meinen, dass das Internet nicht vergleichbar sei mit einer Droge wie zum Beispiel Alkohol. Vielmehr handele es sich um ein Medium, das einen Zugang zu virtuellen Inhalten schafft oder soziale Kontakte herstellt.

Der Zweck spielt daher für die Kritiker eine wichtige Rolle: Ob das Internet beruflich, zum Spielen oder als Plattform für soziale Kontakte genutzt wird, macht demnach einen Unterschied. Nicht die Technologie mache abhängig, sondern das Verhalten des Nutzers oder der Nutzerin, so ihr Argument.

Die Mehrheit der Expertinnen und Experten geht aber von einer Sucht aus. Nicht zuletzt deswegen wurde die Gaming Disorder (Computerspielstörung) auch von der WHO als Suchterkrankung anerkannt und eingeordnet. Dadurch können zur Behandlung auch Therapieformen genutzt werden, die sich bei psychischen Störungen bewährt haben.

Wie häufig ist Online-Sucht?

Bisher gibt es kaum verlässliche Zahlen zum Thema Online-Sucht. Schätzungen einer Studie von 2011 zufolge liegt bei 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung in Deutschland eine Internetnutzungsstörung vor, das sind 800.000 bis 1,6 Millionen Menschen.

Jugendliche sind am stärksten gefährdet. Auffallend ist, dass Mädchen und junge Frauen anfälliger sind als Jungen und junge Männer. Bei weiblichen Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren hat sich die Computerspiel- und Internetabhängigkeit zwischen 2011 und 2019 mehr als verdoppelt.

Bei weiblichen Jugendlichen im Alter von 12 – 25 Jahren hat sich die Computerspiel- und Internetabhängigkeit zwischen 2011 und 2019 mehr als verdoppelt.

Die Daten basieren allerdings auf einem kurzen Fragebogen und nicht auf der Einschätzung von Klinikern. Gleichzeitig suchen Mädchen und Frauen deutlich seltener eine Beratung oder Behandlung auf. Erklärt wird dies damit, dass sie häufiger und intensiver soziale Netzwerke nutzen. Dies geschieht in der Regel „nebenbei“ und beeinträchtigt den Alltag meist nicht, während eine Computerspielsucht eher zu Problemen im Alltag führt.

Offenbar haben auch der Bildungsstand und die berufliche Situation einen Einfluss. Mit fast 10 Prozent sind in Berufsschulen die meisten Jugendlichen und Erwachsenen mit problematischem Internetverhalten zu finden. Haupt- und Gesamtschüler weisen häufiger einen problematischen Internetgebrauch auf als Schüler in Realschulen und Gymnasien. Auch arbeitslose Menschen haben ein erhöhtes Risiko.

Eine Studie der DAK-Gesundheit von 2018 ergab, dass bei 2,6 Prozent der untersuchten Kinder und Jugendlichen die Nutzung von Social Media wie WhatsApp, Instagram und Snapchat problematisch war. Auch hier waren Mädchen in höherem Maße gefährdet als Jungen.

Drei Viertel aller Jugendlichen spielen regelmäßig Computerspiele. Bei den Jungen sind es 90 Prozent, bei den Mädchen 50 Prozent. Bei etwa jedem sechsten Gamer wird das Spielverhalten als kritisch eingestuft.

Wie lässt sich eine Online-Sucht feststellen?

Die Zeit, die im Internet verbracht wird, sagt allein nichts darüber aus, ob ein Problem vorliegt. Deshalb gibt es 9 Kriterien, die helfen, das herauszufinden. Bei einem Verdacht wird zum Beispiel gefragt, ob die Person sich deutlich unwohl fühlt, wenn sie das Internet einmal nicht nutzen kann, ob sie schon einmal erfolglos versucht hat, ihre Internetaktivitäten einzuschränken oder ob sie diese vor Freunden oder ihrer Familie verheimlicht.

Sind bis zu 4 der 9 Kriterien erfüllt, spricht man von einer problematischen Internetnutzung. Nimmt in der Folge die Leistungsfähigkeit in der Schule oder im Beruf deutlich ab, stufen Medizinerinnen und Mediziner dies als schädlich ein. Dann können internetbasierte (Selbst-)Hilfen, eine Beratung oder eine kurzzeitige Psychotherapie (Kurzintervention) sinnvoll sein.

Wenn 5 der insgesamt 9 Kriterien erfüllt sind, liegt wahrscheinlich eine Internetnutzungsstörung (INS) vor. Treffen mehr als 5 Kriterien zu und hat sich die Internetnutzung bereits gravierend negativ auf den Alltag ausgewirkt, handelt es sich um eine Abhängigkeit. Je nachdem, wie viele Kriterien als erfüllt gelten, kommt eine zusätzliche ambulante oder stationäre Therapie infrage.

Wichtig zu wissen: Auffallend ist, dass eine INS häufig mit anderen psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen einhergeht. Was zuerst da war und ob und wie das eine das andere beeinflusst, ist wissenschaftlich noch nicht geklärt.

Ob Sie abhängig vom Internet sind, können sie mit einem etwa 20-minütigen Online-Test der Arbeitsgruppe DIA-NET prüfen. Der Test erfasst Ihre Internetnutzung und wertet diese anhand von diagnostischen Kriterien aus.

Wie wird eine Online-Sucht behandelt?

Die Behandlung einer Online-Sucht richtet sich danach, wie stark sie ausgeprägt ist: also wie viele der 9 festgelegten Diagnosekriterien zutreffen und ob Begleiterkrankungen vorliegen, zum Beispiel eine Depression.

Eine Behandlung zielt darauf ab:

  • die Zeit im Internet zu reduzieren
  • den Fokus auf mögliche andere Beschäftigungen zu richten
  • die Persönlichkeit und das Selbstwertgefühl zu stärken
  • Angst vor sozialen Kontakten abzubauen

Folgende Behandlungsmethoden gibt es:

  • Selbsthilfe
  • kurzzeitige Psychotherapie (Kurzintervention)
  • ambulante Therapie
  • stationäre Therapie

Selbsthilfe

Hierzu gehören Beratungsangebote, Online-Trainings, Online-Selbsthilfegruppen, Foren, Selbsttests und Informationen über weitergehende Hilfen. Diese Angebote richten sich auch an Angehörige. Ein wichtiger Vorteil ist, dass diese Angebote leicht zugänglich sind.

Kurzintervention

Manchmal reichen schon kleine Veränderungen im Alltag, um die Situation zu verbessern. Eine sogenannte Kurzintervention kann dabei helfen. Es handelt sich hier um eine Form der Psychotherapie. Sie bietet sich besonders in frühen Stadien eines Suchtproblems an. Die Kurzintervention umfasst eine Anzahl von 1 bis 4 Gesprächen mit einer Therapeutin oder einem Therapeuten.

Speziell bei einer Internetnutzungsstörung (INS) wird die motivierende Gesprächsführung empfohlen. Diese Methode ist darauf ausgerichtet, die Person zu unterstützen. Die Therapeutinnen und Therapeuten sind dabei Partner, die keinerlei Druck ausüben oder Vorschriften machen. Vielmehr versuchen Sie die Patientin oder den Patienten zu motivieren, sich mit dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen und dieses zu verändern.

Ambulante Therapie

Eine ambulante Psychotherapie wird empfohlen, wenn die Abhängigkeit ausgeprägt ist, bestimmte Begleiterkrankungen vorliegen oder eine Vorbehandlung nicht dauerhaft erfolgreich war. Ziel dieses Ansatzes ist es, der betreffenden Person die Mechanismen des Suchtverhaltens verständlich zu machen und dadurch eine Änderung des Verhaltens zu erreichen. Man nennt das auch kognitive Verhaltenstherapie. Darüber hinaus werden Strategien zur Problembewältigung vermittelt sowie soziale und persönliche Kompetenzen gestärkt.

Stationäre Therapie

Bei einer schweren Abhängigkeit kann es sinnvoll sein, die Behandlung in einer Klinik durchzuführen. Der wichtigste Vorteil hierbei ist die räumliche Entfernung zur alltäglichen Umgebung, die häufig mit der problematischen Internetnutzung verwoben ist. Die Therapie kann helfen, Tagesstrukturen neu zu erlernen, alternative Handlungsweisen zu entwickeln und Strategien zu finden, mit denen sich die Internetnutzung kontrollieren lässt.

Kontakte, Anlaufstellen und Informationen zu allen Formen der Therapie finden Sie auf der Website der Arbeitsgruppe DIA-NET.

Wie kann man einer Online-Sucht vorbeugen?

Jeder Mensch kann einfache Dinge für einen gesunden Umgang mit dem Internet in seinen Alltag einbauen.

Um einer Online-Sucht vorzubeugen, helfen folgende Maßnahmen:

  • Eine Woche lang Zeiten im Internet protokollieren, um einen objektiven Überblick über das eigene Verhalten zu bekommen.
  • Immer mal Offline-Zeiten einlegen, auch „digitales Fasten“ oder „Digital Detox“ genannt.
  • Sogenannte Trigger vermeiden: Also optische und akustische Signale beim Eingang von Nachrichten ausschalten oder das Smartphone ganz stummschalten. Solche Trigger wirken auf das Belohnungszentrum und können deshalb suchterzeugend wirken.
  • Beim Essen und im Bett auf das Smartphone verzichten.
  • Unterwegs das Smartphone so aufbewahren, dass es nicht schnell greifbar ist, zum Beispiel im Rucksack.
  • Sich an Beschäftigungen oder Hobbys erinnern, die früher Spaß gemacht haben und diese wieder aufnehmen.

Wo finde ich weitere Informationen und Unterstützung?

Bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gibt es umfangreiche Informationen zum Thema Online-Sucht.

Hier können Eltern und Jugendliche zum Beispiel auch Broschüren kostenlos bestellen.

Die BZgA betreibt zudem verschiedene Websites, die sich an bestimmte Zielgruppen richten:

Die Website www.ins-netz-gehen.de bietet ein Programm zur Verhaltensänderung für Jugendliche.

Umfassende Informationen zur Suchtprävention bei Jugendlichen für Eltern, Lehrkräfte und Fachpersonal finden sich unter www.ins-netz-gehen.info.

Auswahl weiterer Angebote

Die Arbeitsgruppe DIA-NET der Universität zu Lübeck bietet Informationen, Checklisten, Hilfsangebote und Materialien zum Thema Online-Sucht auf Basis des aktuellen Forschungsstands.

Die Sektion für Suchtmedizin und Suchtforschung des Universitätsklinikums Tübingen hat das Portal Erste Hilfe Internetsucht aufgebaut – eine Datenbank zur Suche von Hilfsangeboten.

Bei der Suche nach einem Therapieplatz in einer Klinik unterstützt der Bundesverband für stationäre Suchthilfe.

Geprüft durch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V.

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