Mit psychischen Krisen umgehen
Wenn ein belastendes oder einschneidendes Ereignis zu emotionaler Überforderung führt, spricht man von einer psychischen Krise. In diesem Beitrag erfahren Sie, welche Arten von psychischen Krisen es gibt, wie sie typischerweise verlaufen und wie man sie bewältigen kann.
Auf einen Blick
- Eine psychische Krise kann eintreten, wenn man durch ein Ereignis emotional stark belastet und überfordert ist.
- In Krisen kann ein Gesundheitsrisiko liegen, aber auch eine Chance für persönliches Wachstum.
- Krisen verlaufen oft von einem Schockzustand über emotionalen Aufruhr und eine Verarbeitungsphase hin zu Akzeptanz und Neuorientierung.
- Beim Umgang mit Krisen können Gespräche und Kontakte sowie die Verringerung von Stress helfen.
- Es kann notwendig sein, professionelle Unterstützung zu beanspruchen, um die Krise zu bewältigen.
Hinweis: Die Informationen dieses Artikels können und sollen einen Arztbesuch nicht ersetzen und dürfen nicht zur Selbstdiagnostik oder -behandlung verwendet werden.
Was ist eine psychische Krise?
Eine psychische Krise ist ein Zustand starker Überforderung. Meist wird eine psychische Krise durch ein belastendes Ereignis ausgelöst. Das kann beispielsweise der Tod eines nahestehenden Menschen oder der Übergang in eine weiterführende Schule sein. Sie kann jedoch auch im Rahmen von psychischen Erkrankungen entstehen, oder wenn viele kleinere Ereignisse im Alltag Stress verursachen.
In einer Krise können bestimmte Lebensziele nicht mehr mit den gewohnten Strategien oder Fähigkeiten erreicht werden. Die Krise stellt das bisherige Leben daher oft infrage. Viele Menschen verlieren in einer Krise ihr inneres Gleichgewicht und erleben unter anderem Gefühle wie Orientierungslosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Traurigkeit, Verwirrung oder Panik.
Wer in einer Krise ist, sucht in der Regel nach Hilfe und neuen Lösungen. Wenn die Krise jedoch länger anhält und keine Lösung für die vorhandenen Probleme gefunden wird, kann sich die Krise zuspitzen. Dann kann es sein, dass der Mensch in der Krise professionelle Hilfe braucht. Möglicherweise kann sich auch eine psychische Erkrankung entwickeln beziehungsweise erneut auftreten.
Kann eine Person eine Krise abwenden oder findet einen Weg heraus und kann etwas aus den Erfahrungen lernen, so spricht man von psychischer Widerstandsfähigkeit. Diese wird auch Resilienz genannt. Demnach kann in Krisen einerseits ein Risiko für die Gesundheit liegen, aber andererseits auch eine Chance für persönliches Wachstum.
Wie kommt es zu psychischen Krisen?
Es gibt verschiedene Arten von psychischen Krisen, die unterschiedliche Auslöser haben. Grob können sie in Reifungs- oder Veränderungskrisen sowie traumatische Krisen eingeteilt werden. Die jeweiligen Auslöser können zu einer Krise führen, tun dies aber nicht bei allen Menschen. Psychische Krisen können auch im Rahmen von psychischen Erkrankungen auftreten.
Bei Reifungskrisen sind biologische Veränderungen typische Auslöser, wie beispielsweise die Pubertät oder die Menopause. Bei Veränderungskrisen zählen einschneidende Lebensereignisse zu den Auslösern, beispielsweise die Zeit nach dem Schulabschluss, eine Kündigung oder der Eintritt in die Rente.
Wenn etwas sehr Bedrohliches plötzlich geschieht, kann das eine traumatische Krise auslösen. Beispielsweise können Menschen nach einer Naturkatastrophe in eine traumatische Krise geraten oder nach dem Erleben oder Miterleben einer Gewalttat.
Wichtig zu wissen: Die persönliche Bedeutung eines schwierigen Ereignisses und die psychische Widerstandsfähigkeit entscheiden mit darüber, ob eine Krise entsteht und wenn ja, wie ausgeprägt sie ist.
Welche Verarbeitungsphasen gibt es bei psychischen Krisen?
Insbesondere wenn Menschen mit einem sehr einschneidenden, bedrohlichen Ereignis konfrontiert sind, kann es zu einer psychischen Krise kommen. Zu solchen Ereignissen zählen beispielsweise der plötzliche Verlust eines geliebten Menschen, ein Unfall oder eine Gewalterfahrung. Die Verarbeitung der Krise läuft dann typischerweise in mehreren Phasen ab.
Schockphase
In den ersten Momenten bis Tagen nach einem sehr einschneidenden Ereignis tritt zunächst ein Schockzustand ein. In dieser Phase wollen Menschen oft nicht wahrhaben, dass die Dinge so passiert sind, wie sie passiert sind. Innerlich herrscht großes Chaos: Mal sind die Gefühle wie betäubt, dann kommt es zu starken Gefühlausbrüchen. Und manchmal scheint alles wieder „normal” zu funktionieren.
Reaktionsphase
An den anfänglichen Schock schließt sich die Reaktionsphase an. Sie dauert in der Regel einige Tage bis Monate. Gefühlsausbrüche wechseln sich weiterhin mit Gefühllosigkeit und starken körperlichen Symptomen ab. Wenn die starken Gefühle nicht ausgehalten werden können, versuchen manche, diese mit Alkohol, anderen Drogen oder gesundheitsschädlichen Verhaltensweisen zu betäuben. In diesem Fall besteht jedoch das Risiko, dass die Krise noch intensiver wird.
Wenn es zu einer Verschlimmerung der Krise kommt, kann es sein, dass Betroffene sich selbst oder andere gefährden. Die psychische Krise kann sich in dieser Phase auch zu einer psychischen Erkrankung entwickeln.
Bewältigungsphase
Manchen Menschen gelingt es mit professioneller Hilfe, die Gefühle wieder zu beruhigen. Die Krise kann beispielsweise im Rahmen einer Psychotherapie oder mithilfe von Medikamenten verarbeitet werden. Vielen Menschen gelingt die Verarbeitung allein oder mit Unterstützung von nahestehenden Menschen. Sie sind in dieser Phase in der Lage, sich dem auslösenden Ereignis zu stellen, sich damit auseinanderzusetzen und dem Erlebten eine Bedeutung zu geben. Betroffene beginnen nun typischerweise die Geschehnisse zu akzeptieren.
Neuorientierungsphase
In der Phase der Neuorientierung kann der Schmerz über die Geschehnisse akzeptiert und losgelassen werden. Häufig merken Menschen in dieser Phase, dass sie sich in der Krise weniger mit anderen Menschen verbunden haben. Der Wunsch, sich mit Menschen zu verbinden, entsteht wieder. Häufig bekommen Beziehungen sogar eine tiefere Qualität. Es können neue Werte und Verhaltensweisen entstehen. Manche Menschen sind auch in der Lage, den Ereignissen etwas Sinnhaftes abzugewinnen und somit etwas Positives aus dem Geschehenen zu ziehen.
Wie kann man mit einer psychischen Krise umgehen?
Zur Überwindung von Krisen wird etwas Neues benötigt. Denn „Krise“ bedeutet, dass man nicht so weitermachen kann wie bisher. Was man in der Krise braucht, können neue oder wiederentdeckte Haltungen, Betrachtungen, Gedanken oder Verhaltensweisen sein. Einige Verhaltensweisen und Gedanken können die Resilienz allgemein erhöhen:
Verbindung zu vertrauten Menschen schaffen
Nur selten können Menschen ganz allein den Weg zu den benötigten neuen Haltungen, Gedanken oder Verhaltensweisen finden. Den meisten Menschen hilft bei der Überwindung von Krisen der Austausch mit anderen. Indem man mit vertrauten Menschen über die Schwierigkeiten spricht, kann das eigentliche Problem deutlicher werden. Gemeinsames Nachdenken kann auch Wege zur Lösung sichtbar machen. Die Erfahrung, dass andere Menschen in der Krise als Begleitung für einen da sind, kann die Psyche stärken.
Sinn oder Ziele als Wegweiser in psychischen Krisen nutzen
In einer Krise neue Lösungen und Wege zu finden ist meist ein großer Kraftakt. Der Neurologe und Psychiater Viktor Frankl hat einmal gesagt: „Wer ein Wofür hat, erträgt fast jedes Wie”. Bezogen auf psychische Krisen bedeutet das: Es kann hilfreich sein, sich in einer Krise daran zu erinnern, wofür sich der Einsatz lohnt.
Manchen Menschen mag der Gedanke helfen, dass man für das Wohl der eigenen Kinder durchhält. Gläubige Menschen denken vielleicht an Gott. Wieder andere stellen sich etwas vor, das sie in der Zukunft erreichen möchten. Was Menschen motiviert und Orientierung gibt, ist sehr verschieden.
Stress und Anspannung verringern
Darüber hinaus hilft alles, was das Stress- und Anspannungsniveau von Menschen in einer Krise senkt, Sicherheit vermittelt und Belastungen reduziert. Wenn man noch nicht zu sehr in der Krise steckt und die Anspannung nicht zu hoch ist, können das auch Praktiken wie Meditation oder Entspannungstechniken sein. Bei diesen Methoden ist allerdings Vorsicht geboten: Da sie häufig mit einer verstärkten Innenbetrachtung verbunden sind, können sie die Anspannung in akuten Krisen weiter erhöhen.
Zudem helfen gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf, Bewegung und Sport.
Wo kann man Hilfe erhalten?
Als nahestehende Person kann es hilfreich sein, der betroffenen Person Gespräche anzubieten oder auf andere Weise zu unterstützen. Es kommt vor, dass eine Krise mit Unterstützung aus dem Umfeld bewältigt werden kann. Hilfreich ist es, wenn Angehörige und Nahestehende so früh wie möglich ihre Unterstützung anbieten.
Bei manchen Menschen spitzt sich die Krise zu und es kommt zu einem psychischen Zusammenbruch oder Notfall. Wenn Betroffene lebensmüde Gedanken oder Pläne äußern, sollten Nahestehende handeln. Möglicherweise ist die Person in der Krise dann in einem orientierungslosen Zustand, in dem sie sich selbst oder andere gefährden könnte. An diesem Punkt ist es das Beste, sofort professionelle Hilfe zu suchen.
Für Menschen, die den Umgang mit psychischen Krisen und psychischen Erkrankungen von Mitmenschen lernen möchten, gibt es mittlerweile das Konzept der „Mental Health First Aid“ – also spezielle Kurse für psychische Gesundheit. In diesen Kursen wurde das Konzept der ersten Hilfe bei körperlichen Erkrankungen auf die erste Hilfe bei psychischen Erkrankungen und Krisen übertragen. Der Ersthelfer-Kurs kann das Wissen über psychische Gesundheit verbessern und stigmatisierende Haltungen reduzieren. Zudem kann er Menschen dabei helfen, psychische Erkrankungen besser zu erkennen, zu verstehen und einen angemessenen Umgang damit zu finden.
Weitere Informationen zu Kursen für "Mental Health First Aid" finden Sie auf www.mhfa-ersthelfer.de.
Was Sie konkret tun können
Wenn Sie selbst oder Ihnen nahestehende Personen sich in einer akuten Krise befinden:
- Sprechen Sie die betroffene Person an und bieten Sie Ihre Unterstützung an. Empfehlen Sie im Zweifelsfall immer eine professionelle Beratung oder Abklärung. Häufig ist die Hausärztin oder der Hausarzt, alternativ eine Notfallambulanz, der am schnellsten verfügbare professionelle Kontakt.
- Begleiten Sie die betroffene Person zu einer Notfallambulanz oder in die hausärztliche Praxis.
- Bei akuter Selbst- oder Fremdgefährdung wählen Sie 112 und rufen Sie den Rettungsdienst.
- Oder nehmen Sie Kontakt mit einer Klinik mit psychiatrischer Abteilung auf und stellen Sie sich in der Rettungsstelle vor.
- Sie können auch den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter 116 117 anrufen und die Möglichkeiten besprechen.
Wenden Sie sich an einen Krisendienst in Ihrer Nähe: Ein Verzeichnis finden Sie auf der Seite der Deutschen Depressionshilfe.
Wenn keine Selbst- oder Fremdgefährdung, aber dennoch ein akuter Bedarf an professioneller Unterstützung besteht, können Sie mit qualifizierten Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern der TelefonSeelsorge telefonieren.
Speziell für psychisch belastete Kinder und Jugendliche hat das Klinikum der Universität München gemeinsam mit der Beisheim Stiftung die Website ich-bin-alles.de entwickelt. Die Website richtet sich an Kinder und Jugendliche mit Depression und ihre Eltern sowie an Kinder und Jugendliche, die sich über das Thema Depression infomieren möchten.
Für Hilfe beim Umgang mit belastenden Ereignissen informieren Sie sich im Flyer „Mit belastenden Ereignissen umgehen” des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.
Wer direkt oder indirekt von Gewalt betroffen ist, findet Unterstützung auf der Grundlage des Opferentschädigungsrechts des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
- Cullberg J. Krisen und Krisentherapie. Psychiatr. Praxis. 1978. 5:25-34.
- Kast V. Trauern: Phasen und Chancen des psychischen Prozesses. 5. Auflage. Kreuz Verlag: Stuttgart 2020.
- Rupp M. Psychiatrische Krisenintervention. Psychiatrie Verlag: Köln 2018.
- Sonneck G. Krisenintervention und Suizidverhütung. 3. Auflage. Facultas Universitätsverlag: Wien 2016.
- Ortiz-Müller W, Scheuermann U, Gahleitner S. Praxis Krisenintervention: Handbuch für helfende Berufe: Psychologen, Ärzte, Sozialpädagogen, Pflege- und Rettungskräfte. 2. Auflage. Kohlhammer Verlag: Stuttgart 2010.
Geprüft durch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN)
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