Psychische und körperliche Belastung bei pflegenden Angehörigen
Einen Angehörigen zu Hause zu pflegen kann mit einer hohen psychischen und körperlichen Belastung verbunden sein. In diesem Beitrag erfahren Sie, wie Sie als pflegende Angehörige Anzeichen für Überlastung erkennen, Überlastung vorbeugen und psychische und praktische Unterstützung finden.
Auf einen Blick
- Etwa 6,6 Millionen Menschen in Deutschland pflegen Angehörige zu Hause.
- Einen Angehörigen zu Hause zu pflegen kann psychisch und körperlich belastend sein. Besonders stark kann die Belastung bei Angehörigen von Menschen mit Demenz sein.
- Entlastung ist wichtig, um die eigene Gesundheit zu schützen und psychischen Beschwerden vorzubeugen.
- Es gibt verschiedene Möglichkeiten zur psychischen Unterstützung und praktischen Hilfe.
Hinweis: Die Informationen dieses Artikels können und sollen einen Arztbesuch nicht ersetzen und dürfen nicht zur Selbstdiagnostik oder -behandlung verwendet werden.
Was belastet pflegende Angehörige?
In Deutschland wurden im Jahr 2019 etwa 80 Prozent der Pflegebedürftigen von Angehörigen zu Hause gepflegt, die meisten davon ohne Unterstützung von Pflegediensten. Nicht selten wird die Erwerbstätigkeit aufgrund von Pflegeaufgaben eingeschränkt und zum Teil auch ganz aufgegeben. Ein bedeutsamer Teil der pflegenden Angehörigen ist selbst schon im – teilweise hohen – Rentenalter. Auch viele Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 19 Jahren übernehmen Aufgaben in der Pflege von Familienangehörigen.
Einen Menschen zu pflegen kann aufgrund von Tätigkeiten wie Heben, Lagern und Stützen körperlich sehr anstrengend sein. Einer Studie aus dem Jahr 2018 zufolge berichteten mehr als 4 von 10 pflegenden Angehörigen von Rücken- oder Gelenkschmerzen. Gut jeder fünfte Angehörige gab an, dass die Pflege meistens oder immer die körperliche Gesundheit beeinträchtigt.
Häufig kommt es durch die Pflege auch zu einer psychischen Belastung. Dazu gehören Scham, Trauer, Stress, soziale Isolation und Hilflosigkeit. Bei mehr als der Hälfte der befragten Pflegenden zeigten sich in der Selbsteinschätzung Anzeichen einer Depression.
Wie können Sie Überlastung erkennen?
Pflegende Angehörige sollten besonders gut auf ihre eigene Gesundheit achten – sowohl auf die körperliche als auch auf die psychische. Es ist wichtig, Überlastung frühzeitig zu erkennen: So kann verhindert werden, dass aus einzelnen Belastungen Gesundheitsprobleme oder gar ernsthafte Erkrankungen werden. Wenn es Ihnen selbst gut geht, fällt es Ihnen leichter, für andere zu sorgen.
Werden Sie aufmerksam, wenn Sie bei sich eines oder mehrere der folgenden Anzeichen über einen längeren Zeitraum wahrnehmen:
Körperliche Anzeichen
- Muskelverspannungen
- Kopf-, Rücken-, Nacken-, Kiefer- oder Schulterschmerzen
- Hautprobleme
- Anfälligkeit für Infektionen
- Herz-Kreislauf-Beschwerden
- Gewichtsschwankungen
- Magen- und Verdauungsprobleme
- Schlafstörungen oder ungewöhnliche Müdigkeit
Psychische Anzeichen
- Nervosität, Unruhe oder Reizbarkeit
- Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten
- Antriebs- oder Rastlosigkeit
- Stimmungsschwankungen
- Hilflosigkeit, Niedergeschlagenheit, Einsamkeit, Angst, Wut, Trauer
- Gedanken, wertlos zu sein
- übermäßiger Gebrauch von Medikamenten, Tabak, Alkohol, und anderen Drogen
Diese Beschwerden können auf Überlastung hindeuten – sie tun es aber nicht zwangsläufig. Beispielsweise könnte Müdigkeit durch Überlastung, aber auch durch eine Schilddrüsenunterfunktion bedingt sein.
Wenn eines oder mehrere solcher Anzeichen bei Ihnen auftreten, besprechen Sie die Beschwerden mit Ihrer Hausärztin oder Ihrem Hausarzt.
Welche Rolle spielen Stress und Unterstützung?
Die Pflege ist eine verantwortungsvolle Aufgabe mit vielen Herausforderungen: Kurz- oder langfristig fehlen mitunter Zeit, Kenntnisse oder Fähigkeiten, um die Pflegeaufgaben ohne eine übermäßige Belastung zu bewältigen. So eine Überlastung kann wiederum zu Stress und folglich zu körperlichen Beschwerden führen.
Mehr als jeder zehnte pflegende Angehörige fühlt sich meistens oder immer allein oder hilflos bei der Pflege. Diese Angehörigen fühlen sich auch körperlich und psychisch stärker belastet als Menschen ohne Pflegeaufgaben.
Für Pflegende ist es von besonderer Bedeutung, dass sie Hilfe erfahren und sich Unterstützung suchen. Welche Möglichkeiten es dazu unter anderem gibt, erfahren Sie im Abschnitt Praktische Unterstützung.
Was können pflegende Angehörige für ihre psychische Gesundheit tun?
In diesem Abschnitt sind einige Strategien zusammengefasst, mit denen Pflegende Belastungen bewältigen können.
Perspektivwechsel: Mit den Augen des pflegebedürftigen Menschen sehen
Insbesondere wenn Sie bei der Pflege des Öfteren ungeduldig, gereizt oder gar wütend reagieren, kann es helfen, die Perspektive der oder des Pflegebedürftigen einzunehmen.
Man könnte sich beispielsweise fragen:
- Was würde ich tun, wenn ich … zum Beispiel Durst hätte und das nicht ausdrücken könnte?
- Wie würde ich mich fühlen, wenn ich … zum Beispiel Hilfe beim Essen, Waschen oder … bräuchte?
- Was würde mich freuen, wenn ich … zum Beispiel Unterhaltungen mit mehreren Menschen nicht mehr gut folgen könnte?
Mit einem solchen Perspektivwechsel kann das Verständnis für das Gegenüber wachsen. Dadurch kann sich der Umgang miteinander verbessern.
Begegnungen für sich nutzen
Freundschaften sind wertvolle Ressourcen. Natürlich liegt es nahe, vertrauten Menschen von belastenden Situationen in der Pflege zu erzählen. Aber es kann auch hilfreich sein, Schwierigkeiten für einige Zeit in den Hintergrund zu stellen – insbesondere dann, wenn das Gegenüber mit dem Thema nicht gut umgehen kann. Sprechen Sie in diesem Fall stattdessen über Dinge, die Sie erfüllen. Es kann guttun, die Schwierigkeiten für eine Zeit zu vergessen.
Etwas tun, das Sie wieder in Balance bringt
Manche gehen gern joggen, andere ins Kino: Versuchen Sie sich an Ihre Vorlieben zu erinnern, um kreativ und aktiv zu werden. Bestimmt kann jemand in dieser Zeit Ihre Pflegeaufgaben übernehmen.
Bewegung
Regelmäßige Bewegung trägt zur psychischen und körperlichen Gesundheit bei. Dafür ist kein anstrengender Ausdauersport nötig: Ausgiebige Spaziergänge, Yogastunden oder sonstige körperliche Aktivität mehrmals pro Woche können dazu beitragen, Ihre geistige und körperliche Widerstandskraft zu erhöhen.
Was Sie in einer akuten Krisensituation tun können
Werden Anspannung, Konflikte oder negative Gefühle zu stark, besteht die Gefahr für aggressives Verhalten oder gar Gewalt. Wie können Sie sich in solch einer akuten Krise verhalten? Falls möglich, verlassen Sie die Situation – wenn auch nur für eine kurze Zeit.
Konzentrieren Sie sich auf Ihren Atem. Atmen Sie ein paar Mal tief ein und aus. Achten Sie darauf, was Sie sehen, hören und in Ihrem Körper spüren. Wenn Sie nicht zur Ruhe finden, kann es helfen, langsam und laut rückwärts von 10 bis 0 zu zählen. Oder trinken Sie achtsam ein Glas Wasser oder einen Tee.
Hilfreich kann es auch sein, wenn Sie einen oder mehrere Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner für derartige Situationen haben. Diese Personen könnten die Pflege in der akuten Krisensituation übernehmen.
In den Ratgebern der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen e.V. (BAGSO) und des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) finden Sie mehr zum Thema Bewältigungsstrategien.
Weiterhin finden Sie Informationen zum Thema Gewalt in der Pflege im Portal des ZQP.
Wo finden Sie psychische Unterstützung?
Pflegende können sich im Rahmen verschiedener Angebote psychisch unterstützen lassen.
Sich mit anderen pflegenden Angehörigen austauschen
Es kann entlastend sein, sich verstanden zu fühlen. Aber vielen Menschen ohne Erfahrung in der Pflege fehlt der Bezug zum Thema. Menschen, die ebenfalls Angehörige pflegen, haben dagegen oft ähnliche Erfahrungen gemacht. Sie können Ihre Sorgen, Probleme und Gefühle nachvollziehen. Menschen mit ähnlichen Erfahrungen finden Sie in Angehörigengruppen.
Eine deutschlandweite Datenbank für Angehörigen- und Selbsthilfegruppen bietet die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS).
Tagebuch und Online-Beratung: Erleichterung durch Schreiben
Manchmal kann es helfen, Gedanken und Gefühle zu belastenden Erlebnissen aufzuschreiben. Auf diese Weise können Sie Ihre Gedanken ordnen, eine Distanz zum Erlebten herstellen und Ihre Gefühle verarbeiten. Wenn Sie eine Online-Beratung für Pflegende wahrnehmen, können Sie erfahrenen Psychologinnen und Psychologen schreiben und erhalten Antworten.
Diese Art der Beratung finden Sie beispielsweise bei der zertifizierten Zentrum ÜBERLEBEN gGmbH: Psychologische Online-Beratung pflegen-und-leben.de.
Wenn Sie in einer akuten Krise sind
Rufen Sie bei der TelefonSeelsorge an. Hier werden Sie kostenfrei und rund um die Uhr unter den Nummern 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 beraten.
Wenn Sie befürchten, gegenüber der pflegebedürftigen Person aggressiv oder gar gewalttätig zu werden, wenden Sie sich an eine spezialisierte telefonische Krisenberatung der Pflege.
Wenn Sie sich fragen, ob eine Psychotherapie Ihnen helfen könnte
Befragen Sie Ihre Hausärztin oder Ihren Hausarzt zu diesem Thema. Oder informieren Sie sich auf der Website "Wege zur Psychotherapie" der Bundespsychotherapeutenkammer, ob eine solche Therapie für Sie infrage kommt. In der Arztsuche der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (Telefonnummer 116 117) können Sie nach Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Ihrer Nähe suchen und diese direkt kontaktieren. Eine ärztliche Überweisung ist nicht notwendig.
Was kann körperlichen Beschwerden vorbeugen?
Wenn es darum geht, den eigenen Körper vor Schaden durch die Pflegeaufgaben zu schützen, dann können drei Dinge helfen:
Wissen und Fertigkeiten
Viele pflegende Angehörige stehen vom einen auf den anderen Tag vor der Situation, einen Menschen pflegen zu müssen. Woher sollten sie wissen, wie man eine Person am besten vom Rollstuhl ins Bett oder ins Auto hebt? Vielleicht gelingt es eine Zeit lang intuitiv ganz zufriedenstellend. Doch wenn man bestimmte Handgriffe und Hebetechniken nicht kennt, riskiert man auf Dauer körperliche Probleme, beispielsweise Schmerzen oder Rückenprobleme.
Fragen Sie bei Ihrer gesetzlichen oder privaten Kranken- oder Pflegeversicherung nach Schulungen oder Pflegekursen zu dem Thema, das für Sie wichtig ist.
Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel
Es gibt einige Geräte, die das Heben, Drehen oder Stützen von Pflegebedürftigen sehr gut erleichtern können. Dazu zählen zum Beispiel eine Drehscheibe, eine Positionswechselhilfe, eine Gleitmatte oder ein Rutschbrett. Zudem gibt es Personenlifter, die das Umlagern und Heben übernehmen können. Weitere Geräte, die ganz praktisch unterstützen können, sind beispielsweise ein Rollator oder spezielles Besteck. Wichtig ist, dass Sie sich mit der pflegebedürftigen Person vorab über die Verwendung der Hilfsmittel abstimmen.
Körperliche Unterstützung
Vielleicht können Sie Verwandte oder Bekannte bei den körperlich anstrengenden Aufgaben häufiger mit einbeziehen, beispielsweise beim Heben. Außerdem sind Pflegekurse hilfreich und sinnvoll: Hier erlernen Sie die passenden Fertigkeiten und wie technische Pflegehilfsmittel richtig angewandt werden.
Welche Möglichkeiten zur praktischen Unterstützung gibt es?
Sich allein und hilflos zu fühlen, erhöht für pflegende Angehörige das Risiko für eine psychische und körperliche Belastung. Es ist daher wichtig, sich Unterstützung zu suchen.
Dazu müssen Angehörige in manchen Fällen lernen, Kontrolle und Verantwortung abzugeben und anderen zu vertrauen: Lassen Sie sich durch andere unterstützen – bevor die Pflege Sie überfordert.
Zu den Möglichkeiten gehören folgende Angebote:
- Pflegekurse und Schulungen
- Professionelle Pflegeberatung
- Professionelle Pflegedienste
- Kurzzeitpflege
- Tages- und Nachtpflege
- Verhinderungspflege
Örtliche Beratungsstellen finden Sie auf der Webseite des Zentrums für Qualität in der Pflege.
Ehrenamtliche Hilfe
Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer finden Sie beispielsweise beim Netzwerk pflegeBegleitung.
Urlaub mit pflegebedürftigen Menschen
Es gibt Urlaubsangebote, die auf die Bedürfnisse von Pflegebedürftigen und denen ihrer Angehörigen zugeschnitten sind.
Informationen finden Sie beispielsweise beim Verein Urlaub & Pflege e.V.
Speziell für pflegende Kinder und Jugendliche
Die Website Pausentaste bietet Informationen zu praktischer und psychologischer Unterstützung für pflegende Kinder und Jugendliche.
- Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen e.V. (BAGSO) und Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung e.V. (DPtV). Entlastung für die Seele – Ein Ratgeber für pflegende Angehörige. 9. aktualisierte Auflage. Bonn/Berlin 2019.
- Bundesministerium für Gesundheit / Universität Witten/Herdecke. Abschlussbericht zum Projekt „Die Situation von Kindern und Jugendlichen als pflegende Angehörige“. Universität Witten/Herdecke: Witten 2018.
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). BZgA-Leitbegriffe: Stress und Stressbewältigung. Aufgerufen am 11.12.2020.
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V. (DEGAM). Pflegende Angehörige von Erwachsenen. S3-Leitlinie. AWMF-Registernummer 053-006. 07.2018.
- Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), BÄK, KBV, AWMF. Unipolare Depression. Langfassung. S3-Leitlinie/Nationale Versorgungs-Leitlinie. AWMF-Registernummer nvl-005. 11.2015.
- Jacobs K, Kuhlmey A, Greß S et al. Pflege-Report 2020. Neuausrichtung von Versorgung und Finanzierung. Open-Access-Publikation. Springer: Berlin 2020. doi: 10.1007/978-3-662-61362-7.
- Nowossadeck S, Engstler H, Klaus D. Pflege und Unterstützung durch Angehörige. Report Altersdaten 1/2016. Deutsches Zentrum für Altersfragen: Berlin 2016.
- Statistisches Bundesamt (Destatis). Pflege: Pflegebedürftige in Deutschland – nach Versorgungsart. Aufgerufen am 24.02.2021.
- Statistisches Bundesamt (Destatis). Pflegestatistik: Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung – Deutschlandergebnisse 2019. Artikelnummer 5224001199004. 12.2020.
- Rothgang H, Müller R (Universität Bremen). Pflegereport 2018. Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse, Band 12. BARMER: Berlin 2018.
Geprüft durch das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP).
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